Hartnäckige Gedanken…
Hast du das auch manchmal, dass dich der Gedanke an etwas nicht mehr loslässt, bis du es dann endlich tust? Du versuchst, an etwas anderes zu denken, die Sache nach hinten zu schieben (passt gerade gar nicht zu meiner To-Do-Liste!) – aber es ist zwecklos! Dieser Gedanke holt dich immer wieder ein…
So ging es mir letzte Woche – und zwar mit dem Gedanken, im Flutgebiet helfen zu gehen!
- Ach, ich muss doch jetzt nicht 600 km fahren, um da für einen Tag zu helfen!
- Das lohnt sich doch überhaupt nicht!
- Ein Tag, was ist das schon?
- Ist doch eh nur ein Tropfen auf den heißen Stein…
- Da gibt’s doch Leute, die da viel besser helfen können – die viel kompetenter sind!
- Andere haben viel mehr Zeit als ich – ich muss mich doch um die Familie kümmern!
- Wenn ich ungebunden wäre, wäre das ja gar kein Problem…
Kennst du diese Argumente? Das waren auf jeden Fall die Gründe, die ich vorgeschoben habe, um mich mit diesem Thema nicht mehr befassen zu müssen! Und trotzdem ließ mich der Gedanke nicht mehr los! Und wie ich das immer so zu tun pflege, wenn mich Dinge nicht losslassen: Ich habe gebetet. Ich habe Gott gebeten mir zu zeigen, ob das nur wieder mein manchmal übersteigertes Verantwortungsgefühl ist, das reinkickt – oder ob ich wirklich gehen soll… Das war am Mittwoch letzter Woche.
Die Antwort…
Donnerstag morgen: Nach dem Frühstück – wenn die Kids schon auf dem Weg zu S-Bahn und somit zur Schule sind – nehmen mein Mann und ich uns immer noch Zeit, um einen kurzen Impuls für den Tag aus der Bibel zu lesen und für den Tag zu beten. Weißt du, was an diesem Tag für ein Bibelvers drin stand? Der hat gepasst, wie die Faust auf’s Auge! Aber lies selbst. Ich habe es mal gleich in eine Grafik eingebunden, sodass du es dir auch gerne auf Pinterest merken kannst! 😉
Ich wusste auf jeden Fall: Das war die Antwort auf meine Frage.
In den folgenden Tagen habe ich dann alle Infos für Hilfseinsätze in diesem Gebiet zusammengesucht. Ich wollte auf keinen Fall mit meinem Auto hinfahren und dort die Zugänge für Hilfskräfte blockieren…
Los geht’s!
Nach einigem Hin und Her habe ich ein Hilfswerk gefunden, das sich sehr in der Hilfe vor Ort engagiert und dort Hilfseinsätze koordiniert. Die Anmeldung konnte ich ganz einfach über die Website machen! Erst hatte ich überlegt, am Samstag zu fahren, es dann aber wieder verworfen, weil meine Vermutung war, dass am Samstag viele Helfer da sein würden – unter der Woche aber vielleicht nicht so viele.
Der Montag drauf passte nicht, aber am Dienstag hatte mein Mann Homeoffice – konnte sich somit um die Kids kümmern! Also habe ich diesen Tag dann ins Auge gefasst.
Und es hätte nicht passender sein können: Am Sonntag und Montag wurden die Gebiete nämlich komplett für Helfer gesperrt, weil die Entsorgungsunternehmen erst mal den ganzen Müll rausbefördern mussten und dazu freie Straßen brauchten.
Die Entscheidung, dass am Dienstag wieder Hilfskräfte rein dürfen, fiel dann auch erst sehr spät am Montagabend… und ich muss gestehen, ich habe zu dem Zeitpunkt echt gehofft, dass es abgesagt wird. Ich habe auf einmal richtig Angst davor bekommen, was mich dort erwartet – Angst davor, dass ich damit nicht umgehen kann und mich die Arbeit dort überfordert. Aber als dann um 23.00 Uhr das „Go“ kam, habe ich nicht mehr lange überlegt, sondern schnell ein Auto gebucht (wir haben kein eigenes Auto, sondern machen Carsharing!), die notwendigen Sachen gepackt:
- Stirnlampe
- Gummistiefel
- Wechselkleidung
- mehrere Arbeitshandschuhe
- Eigene Verpflegung
- ausreichend Getränke (2-3 Liter pro Tag)
- Latexhandschuhe (zum Essen im Einsatzgebiet)
- Händedesinfektionsmittel
- Seife
Danach schnell ins Bett, denn Treffpunkt war schon um 9.00 Uhr in Bornheim bei Bonn – und Google Maps sagte mir, ich bräuchte zwischen 3 und 4 Stunden. Also Abfahrt um 5.00 Uhr!
Der Dienstag
Timeline
4.00 Uhr aufstehen: So war’s geplant… aber ich war so voller Adrenalin, dass ich kaum geschlafen habe, dauernd wach wurde und dadurch auch schon vor 4.00 Uhr auf den Beinen! So hatte ich sogar noch Zeit, das Schulvesper für die Kinder zu richten… und dann ging’s auf die Straße!
5.00 Uhr Abfahrt: Ich war schon um 4.50 Uhr am Auto, einsteigen, PIN eingeben – nichts! Falsche PIN! Was? Ich kenne doch die PIN der Karte meines Mannes! Auch nach 2 weiteren Versuchen die gleiche Meldung! Na super! Das fängt ja schon gut an… Nach Hause rennen (zum Glück nur 200 m), Mann wecken, PIN erfragen (das Goldstück hatte eine neue Karte und eine neue PIN bekommen und mir nicht Bescheid gesagt!), zurück zum Auto rennen, neue PIN eingeben. Yeah, klappt! Abfahrt dann tatsächlich fast pünktlich um 5.02 Uhr!
5.02 Uhr – 8.10 Uhr: Ich liebe es ja eigentlich total, in den Sonnenaufgang zu fahren – aber an diesem Tag war ich wirklich mit sehr gemischten Gefühlen unterwegs! Aber es läuft – keinen einzigen Stau, obwohl Berufsverkehr ist! Bin mega dankbar!
8.10 Uhr Ankunft: Ich habe noch ein bisschen Zeit, versuche noch mal ein bisschen zu schlafen – das Adrenalin macht mir einen Strich durch die Rechnung!
9.00 Uhr Einweisung: Alle Helfer werden begrüßt, in Teams zusammengefasst und bekommen eine Einweisung – sowohl was die Arbeit angeht, als auch was den Umgang mit diesen schwer traumatisierten Menschen angeht
9.30 Uhr Aufbruch: Wir müssen bei der Zentrale noch einige Schubkarren zusammenbauen – Eimer, Schaufeln, Handschuhe, Schubkarren und Gummiflitschen auf den Pritschenwagen laden – und dann geht’s los nach Bad Neuenahr – Ahrweiler.
11.30 Uhr – 18.45 Uhr: Wir helfen in einem Haus, in dem der ganze Keller und Teile des Erdgeschosses unter Wasser und Schlamm (ca. 30 – 40 cm) stehen! Eine Truppe war schon vor uns da! Zu 10 Personen arbeiten wir einen ganzen Tag daran, den Schlamm und das Wasser – zumindest grob – zu entfernen! Und das, obwohl wir mit Schubkarren reinkönnen! Es ist unfassbar! Natürlich müssen auch die Autos, die im Keller gelagerten Dinge, Fahrräder aus dem Fahrradkeller, usw. rausgeräumt werden. Den vier Wochen alten Tesla, den wir mit Hilfe eines Baggers herausziehen, kann man kaum noch erkennen!
18.45 Uhr: Endlich kann das letzte Wasser mit dem Abzieher rausgezogen werden! Das Ende ist in Sicht. Na ja, natürlich nur das Ende für unsere Arbeit. Wie die Wände des Kellers gelitten haben, kannst du auf den Bildern gut sehen. Da wartet noch ganz viel Arbeit! Aber der Anfang ist gemacht!
19.00 Uhr: Grob reinigen am 1000l Wassertank, der auf der Straße steht, dann Rückfahrt zum Treffpunkt!
20.00 Uhr: Wieder am Auto, Auto mit Mülltüten auslegen, einsteigen und zurück nach Karlsruhe! Wir waren leider zu spät dran, um uns noch im Gemeindehaus frisch zu machen. Das war leider schon abgeschlossen!
23.30 Uhr: Uff, heil zuhause angekommen. Ich war so unter Adrenalin, dass ich erst 40 km vor Karlsruhe ein richtiges Tief hatte und 10 Minuten auf einem Rastplatz schlafen musste. Die letzten Kilometer habe ich dann mit Matthias telefoniert, um fit zu bleiben!
Meine Eindrücke
Die Zeitleiste sagt natürlich noch gar nichts darüber aus, wie der Tag für mich war. Und ich finde es auch wirklich schwierig, diesen Tag mit einem Adjektiv zu umschreiben. Ich kann nicht sagen: Es war ein guter Tag! Wie könnte ich das, bei allem Elend, was ich da gesehen habe… Ich glaube, am ehesten trifft wohl zu, dass es ein erfüllter Tag war – denn das war es absolut. Ich habe nicht viele Fotos an diesem Tag gemacht, weil es mir unpassend erschien, das Elend der Menschen
Was mich total berührt hat:
- Zu sehen, dass an einem Dienstag ca. 200 Helfer morgens um 9.00 Uhr auf einem Parkplatz stehen – bereit zu helfen. Menschen, die zum Teil viele hundert Kilometer angereist sind. Darunter ganz ganz viele junge Erwachsene, die ihre Ferien dafür opfern
- die unfassbar gute Organisation durch „To all nations“ vor Ort! Die Helfer wurden in Teams aufgeteilt, gebrieft und dann auf die Orte verteilt, in denen aktuell Bedarf bekannt war. Jedes Team bekam eine konkrete Adresse, konnte Hilfsmittel mitnehmen und dann ging’s los. Sie haben praktische Helfer, Seelsorger & Notfallseelsorger und auch Kaffeeteams vor Ort, die einfach mit Bollerwagen durch den Ort fahren, Kaffee und kleine Snacks an Betroffene und Helfer verteilen und ein offenes Ohr für die Menschen haben. Verbunden waren alle Helfer durch eine Telegramm-Gruppe, sodass man auch in Kontakt bleiben konnte
- Ich habe mit 9 anderen, mir völlig unbekannten Menschen von Detmold bis nach Schwäbisch Gmünd zusammengearbeitet – und wir waren uns kein bisschen fremd!
- Als wir in Ahrweiler ankamen, wurden wir am Ortseingang erst einmal angehalten – nein, nicht von der Polizei! Bei der ist das Hilfswerk bekannt… wir wurden von zwei Frauen angehalten, die mitten auf der Straße standen – mit einem Einkaufswagen! Sie haben uns als Helfer begrüßt und uns Kaffee, belegte Brote und Kaltgetränke angeboten… krass, oder? Da sind Menschen so in Not und nehmen sich Zeit dafür, anderen Gutes zu tun!
- Die Dankbarkeit der Menschen, denen wir geholfen haben… Ich habe wundervolle Menschen kennengelernt, die viel verloren haben – zum Glück nicht alles! Ich habe wieder gestaunt über den Pfälzer Humor, der auch in dieser Situation noch zum Tragen kommt! Und es war so schön zu sehen, wie erleichtert sie waren, nicht alles alleine stemmen zu müssen! Sie hätten das auch nicht gekonnt. Der Mann war schwer herzkrank und musste sich immer mal wieder im intakten Teil des Hauses hinlegen!
- Wieviel Menschen schaffen können, wenn sie sich zusammentun! Ich hätte morgens nicht geglaubt, dass wir es schaffen, den Keller komplett leer zu bekommen und von Schlamm und Wasser zu befreien! Wow!
- Der Bahnhofsvorplatz in Ahrweiler: dort waren viele Zelte aufgebaut
- Lions Club, der die ganzen gespendeten Gerätschaften für’s Aufräumen verwaltet und rausgibt
- ein Zelt mit gependeten Hygieneartikeln und Babybedarf
- eine Tafel im Bahnhofsgebäude
- Gastronomen, die kostenloses Essen für alle Betroffenen und Helfer kochen (mein Picknick hätte ich mir wirklich schenken können!)
- der Mann, der uns vor unserer Abreise einfach noch 5 Tüten ins Auto gelegt hat – kurz durchgezählt und passend reingelegt – und dann wieder verschwunden war. Als wir die Tüten geöffnet haben, hatte er für jeden noch eine Wurst im Brötchen gepackt!
Mein Fazit
- Ich bin unfassbar froh, dass mir der Gedanke keine Ruhe gelassen hat
- Ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit hatte, dort zu helfen. Wer weiß, wann ich mal Hilfe brauche…
- Ich bin total begeistert von diesem Zusammenhalt und dem Erleben von gegenseitiger Fürsorge
- Ich bin neu motiviert, mich in meinem Umfeld zu investieren – auch wenn es nicht immer wertgeschätzt wird!
Es gibt einen Vers des weisen Königs Salomo, der mir immer wieder im Zusammenhang mit dem Thema „Gutes tun“ in den Sinn kommt: „Wirf dein Brot hin aufs Wasser! Denn nach einiger Zeit wird es wieder zu dir zurückkommen“ (Prediger 11,1). Ich habe das in meinem Leben schon so so oft erlebt – auch gerade dann, wenn ich gegeben habe, obwohl ich selber gerade wenig hatte. Ich könnte dir da einige Geschichten erzählen… Da sind echt Dinger passiert, die sich mit dem Verstand nicht erklären lassen.
Aber ich muss dazu sagen, dass für mich dazu die Gewissheit gehört, dass ich selber gut versorgt bin – nicht, weil ich emotional, materiell oder intellektuell alles hätte, sondern weil ich an einen liebenden Gott glaube, der mein Leben trägt und begleitet – dem ich so wichtig bin, dass er sich darum kümmert, dass ich alles habe, was ich brauche… Ohne diese tiefe Sicherheit würde das für mich nicht gehen!
Du möchtest selber aktiv werden?
Wenn du jetzt selber merkst, dass dich das Thema anspricht und du helfen möchtest, dann gibt es verschiedene Möglichkeiten:
- Spenden
- Der Einsatz, bei dem ich mitgemacht habe, war organisiert von „To all Nations“ und „Samaritan’s Purse“. Auf den Seiten von beiden Organisationen kannst du für die Versorgung der Opfer der Flutkatastrophe spenden. Es gibt natürlich auch noch viele andere Organisationen, die Spenden sammeln, aber ich möchte diese beiden auf jeden Fall empfehlen, weil ich gesehen habe, mit wieviel Einsatz da jeder mitarbeitet und sich reinhaut!
- Anpacken vor Ort
- „To all Nations“ wird auch weiter vor Ort bei allen möglichen Arbeiten helfen. Informieren und anmelden kannst du dich hier! Das Tolle: Du musst nicht alleine hinfahren, sondern wirst Teil eines Teams vor Ort! Und du bist sicher, dass du wirklich helfen kannst, weil Helfer vor Ort den Bedarf ermitteln und dann die Adressen an die Teams weiterleiten.
- Ansonsten gibt es auch noch den Helfer Shuttle ab der Ortschaft Grafschaft, der verhindert, dass die Autos von Helfenden die Zufahrtswege verstopfen. Ganz wichtig: Nie einfach alleine in die Ortschaften fahren! Die Helfer werden vom Shuttle verteilt! Auch hier gibt es eine Seite zur Registrierung!
- Ein zweiter Helfershuttle fährt ab dem Busbahnhof in Koblenz – ideal also für alle, die mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind! Alle Infos gibt’s auf dieser Seite!
- Hast du Erfahrung im Weinbau? Dann findest du hier ganz spezifische Möglichkeiten zur HIlfe!
- Winzer, Gastronomen und Tourismus im Ahrtal unterstützen
- Die Aktion Flutwein soll an dieser Stelle helfen! Du kaufst Premiumweine aus der Region Ahr, die aus den Fluten gerettet werden konnten. Zusätzlich zum Kaufpreis kannst du gezielt für den Wiederaufbau für die Winzer, Gastronomen und den Tourismus im Ahrtal spenden.
Ich muss sagen, dass mir diese Gegend sehr am Herzen liegt. Ich habe früher in der Nähe von Siegburg gewohnt – und das Ahrtal war immer ein schönes Ausflugsziel mit netten Menschen und einem garantierten Urlaubsgefühl. Ich wünsche den Menschen vor Ort so sehr, dass es wieder ein wunderbarer Ort zum Leben und Sein wird. Von daher würde ich mich sehr freuen, wenn dieser Artikel auch dazu beiträgt, den Menschen vor Ort zu helfen.
Und vielleicht sehen wir uns ja sogar vor Ort beim Helfen… wir überlegen nämlich noch, wie wir in den Ferien da noch mehr tun können!
Ganz ganz liebe Grüße,
Anne